13. Beobachtung von Feldwespen

Eine der Wespen in der Haltung der Aufmerksamkeit, während die anderen Substanzen von der Holzoberfläche aufnehmen. 6. August 2021, 9:56 Uhr. - Olympus E-M1MarkIII, Zuiko 40-150mm 1:2,8 Pro, Konverter MC-14, ISO 800, f2,8 (effektiv f4), Belichtungskorrektur -1/3 EV, 1/3200 sec


Beobachtung von Feldwespen am Nest




Überraschungen im Fahrradschuppen



Nach der Rückkehr von einer zweiwöchigen Reise fand ich im Fahrradschuppen eine vierfache Überraschung vor: Wespen hatten begonnen, Nester zu bauen, und zwar gleich an vier Stellen. Der hölzerne Schuppen steht schon seit einigen Jahren, und seither hatte ich regelmäßig Wildbienen-Nistplätze in Bohrungen, Löchern oder anderen Vertiefungen vorgefunden, vereinzelt auch an den Holzwänden, doch Wespen hatten sich hier noch nicht blicken lassen. Eine Königin der Deutschen Wespe schickte sich gerade an, unmittelbar am oberen Riegel der Eingangstür ein Papiernest zu errichten: Sie musste ich davon überzeugen, sich doch besser einen anderen Ort zu suchen - sonst hätte es bald keinen gefahrlosen Zugang zu den Fahrrädern mehr gegeben. Die übrigen drei Nester - an verschiedenen Stellen im oberen Winkelbereich von Wand und Decke - hatten Tiere einer anderen Wespenart zu bauen begonnen. Es entstanden offene Waben, ein Indiz dafür, dass hier Haus-Feldwespen am Werk waren. Sie ließ ich gerne gewähren, denn es sind friedliche Tiere, die sich nicht für den Menschen interessieren, ihn weder aufdringlich umschwirren noch am Esstisch belästigen.


Freier Blick auf offene Waben: Feldwespen  (Polistes dominula)


Während einer der drei entstehenden Nistplätze in einem Zwischenraum angelegt worden war, nur von einer Schmalseite aus sichtbar, erlaubten die anderen beiden einen freien Blick von unten und von jeweils einer Seite. Damit war klar, dass hier die Phasen der Entstehung der Nester, aber auch die Aktivität der Wespen auf den Nestern und sogar die Entwicklung der Larven in den einsehbaren Waben fotografisch dokumentiert werden konnten.

Eines der Nester war kleiner angelegt - und blieb es den Sommer über, das andere wurde deutlich größer.

Das größere der beiden Nester am 21. Juni 2021, 11:26 Uhr. Eine Wespe trägt an einem warmen Junitag durch fächernde Flügelbewegung zur Kühlung der verpuppten Larven bei. - Sony 7RM3, FE 100-400mm f4,5-5,6 GM bei 400mm, ISO 6400, f6,3, 1/2500 sec


Das größere der beiden Nester am 11. Juli 2021 abends, 22:14 Uhr. - Bildergebnis aus 68 Einzelaufnahmen innerhalb von 28 sec. Nikon Z 7 II, Sigma 150mm 1:2,8 Apo Makro mittels Fringer-Adapter EF-NZ, ISO 64, f4, Belichtungskorrektur -2/3 EV, jeweils 1/10 sec, LED-Ringlicht


Aber wie könnte solch eine Dokumentation ablaufen? Das beobachtete Verhalten der Wespen ließ bald eine Lösung erkennen. Was ich anfangs kaum zu hoffen wagte, zeigte sich als realistische Möglichkeit: Am sehr frühen Morgen und am späten Abend waren die Tiere in Ruhestellung, so dass im Stacking-Verfahren die nötige räumliche Tiefe erfasst werden konnte. Auf eine solche Weise können zugleich die auf dem Nest sitzenden Tiere wie auch das, was sich in der Tiefe der einzelnen Waben zeigte, scharf erfasst werden.

Das kleinere der beiden Nester konnte exemplarisch bei einer Aufnahmefolge von etwas unterschiedlichen Kamerapositionen fotografiert werden, um Einblick in verschiedene Waben zum nahezu gleichen Zeitpunkt zu ermöglichen.


Das kleinere der beiden Nester aus einem Winkel von etwa 45 Grad fotografiert, am 21. August 2021 abends, 22:26 Uhr. - Bildergebnis aus 44 Einzelaufnahmen innerhalb von 17 sec. Nikon Z 7 II, Sigma 150mm 1:2,8 Apo Makro mittels Fringer-Adapter EF-NZ, ISO 64, f4, Belichtungskorrektur -1 EV, jeweils 1/15 sec, LED-Ringlicht


Dokumentation mit Abstand


Für mich stellte sich zunächst die Frage des Abstandes, den ich einhalten musste. Anfangs war ich vorsichtig und setzte ein Teleobjektiv mit Konverter ein, um einen großen Arbeitsabstand zu erhalten - also einen großen Abstand zwischen dem vordersten Teil des fotografischen Geräts und dem Motiv. Der Konverter hilft, einen möglichst großen Abbildungsmaßstab zu erhalten. Das eingesetzte langbrennweitige Teleobjektiv erlaubte es, bei einem Abstand von 1,10 m zu einem Abbildungsmaßstab von 0,33 oder - mit Konverter - sogar von 0,5 zu kommen, was nicht nur ausreichend war, sondern in absehbarer Zeit mit größer werdendem Nest sogar zu viel werden drohte: Ich müsste größeren Abstand einhalten, als Platz im Schuppen zur Verfügung stand. Also versuchte ich es mit einem Tele kürzerer Brennweite, das eine stärkere Annäherung verlangte. Die Tiere ließen ohne weiteres diese Nähe zu. Das erweckte die Hoffnung, es könnte sogar mit einem Makroobjektiv klappen. Beim Makroobjektiv mit 150mm Brennweite hat man beim Abbildungsmaßstab 1:1 nur noch einen Arbeitsabstand von etwa 17cm zwischen der Frontlinse und den auf dem Nest sitzenden Wespen .


Das kleinere der beiden Nester, von unterhalb nahezu senkrecht nach oben aufgenommen am 21. August 2021 abends, 22:26 Uhr. - Bildergebnis aus 44 Einzelaufnahmen innerhalb von 17 sec. Nikon Z 7 II, Sigma 150mm 1:2,8 Apo Makro mittels Fringer-Adapter EF-NZ, ISO 64, f4, Belichtungskorrektur -1 EV, jeweils 1/15 sec, LED-Ringlicht


Annäherungsversuche


Die Tiere ließen auch das zu. Beim ersten Versuch der fotografischen Annäherung fielen die Wespen zwar offenkundig in eine Wacht- und Warnhaltung: Sie unterbrachen ihre emsige Tätigkeit und wandten den Kopf dem sich vorsichtig nähernden Fotografen und dem Kameraobjektiv zu, die Fühler gerade aufgerichtet.
Das gab sich später. Ein einziges Mal bin ich anfangs offenbar den Tieren zu weit gegangen - oder besser: zu nah gekommen, und die nächste Stufe der Warnung wurde ausgelöst: Schlagartig fingen alle Wespen an, aufgeregt und geräuschvoll mit den Flügeln zu schwirren. Während gewöhnlich am Nest alles ruhig abläuft, entstand unvermittelt das typische Wespennest-Surren, wie man es von großen Papiernestern der Gemeinen Wespe und der Deutschen Wespe kennt. Schnell zog ich mich zurück, und es wurde nach kurzer Zeit wieder ruhig. Alle Tiere stellten synchron die Geräuschentwicklung ein, die offenkundig zur Abwehr als Signalisierung von Gefahr dienen sollte.

Im Laufe der Zeit schienen sich die Tiere an das regelmäßige Kommen und die Tätigkeit des Fotografen zu gewöhnen: Sie zeigten keine erkennbare Reaktion, also keine Veränderung ihres Verhaltens mehr, wenn ich mich am Tage näherte. Selbst wenn ich mit dem Kopf auf weniger als 30 cm an das Nest herankam, unterbrachen sie ihre Nestbau- und Brutpflegetätigkeit nicht, sie schienen einfach keine Notiz mehr von mir zu nehmen. Entsprechend verhielten sie sich in der Nacht: Sie blieben in der Ruheposition, in der sie waren, ohne sich etwa in Wachtstellung zu begeben - wie es noch zu Beginn der Beobachtungen der Fall gewesen war.


Licht und Dunkel


Beim Beginn der fotografischen Dokumentation im Juni, der Zeit der langen Tage und der kurzen Nächte, genügte das in den Schuppen fallende natürliche Licht. Gegen Ende des Monats Juli jedoch werden die Tage spürbar kürzer, so dass die Ruhezeit der Insekten schon in die Dämmerung oder gar Dunkelheit fiel. Das natürliche Licht reicht dann nicht mehr aus. Würden die Wespen eine künstliche Foto-Lichtquelle akzeptieren?
Sie taten es. Auf das Makroobjektiv montierte ich ein LED-Ringlicht. Ein Ringlicht erzeugt ebenso wie ein Ringblitz ein fotografisch häufig wenig befriedigendes Licht, da es keinerlei Schatten gibt. Für eine dokumentarische Aufnahme, die Einzelheiten auch in der Tiefe der röhrenartigen Waben erkennen lassen soll, gibt es aber kaum eine Alternative.
 
Was ich kaum zu hoffen gewagt hatte: Die Wespen blieben unbewegt sitzen, so dass ein Stack-Durchgang mit etwa jeweils 60 Aufnahmen in der Regel gelingen konnte. Bis bei eingeschalteter Beleuchtung die Kamera auf dem Stativ wieder die richtige Position gefunden hatte, die Einstellungen vorgenommen waren und der Stack-Durchgang durchgeführt war, konnten 3-5 Minuten vergehen, und das erlaubten die Tiere. Nur wenn es deutlich länger dauerte, entstand Bewegung, und einzelne Wespen nahmen die Brutpflege-Tätigkeit auf.




Quirliger Nachwuchs


Das Verhalten der Tiere und die Schwierigkeiten bei der fotografischen Dokumentation führten zu immer neuen Fragestellungen und Beobachtungen. Am späten Abend begaben sich die Wespen zur Ruhe und ermöglichten dadurch das Fotografieren im Stacking-Verfahren. Die Larven schienen sich dagegen nicht an diese fotografenfreundliche Gepflogenheit halten zu wollen: Die spätere Sichtung der einzelnen Bilder eines Stackings-Durchgangs - die etwa im Abstand von einer Viertelsekunde aufgenommen werden - brachte eine lebhafte Bewegung der Larven zutage.

Blick in einige Waben des größeren der beiden Nester, kleiner Ausschnitt aus einem Bild des ganzen Nestes, aufgenommen am 13. (oberes Bild) und 21. Juli 2021 abends, 21:48 bzw. 22:24 Uhr. Leere Waben, Waben mit jeweils einem Ei, mit Larven in unterschiedlichen Stadien und Waben mit weißem Kokondeckel, unter dem sich eine verpuppte Larve entwickelt. - Bildergebnis aus 24 bzw. 52 Einzelaufnahmen innerhalb von 8 bzw. 22 sec. Nikon Z 7 II, Sigma 150mm 1:2,8 Apo Makro mittels Fringer-Adapter EF-NZ, ISO 400 bzw. ISO 64, f4, Belichtungskorrektur -2/3 EV bzw. -1 EV, jeweils 1/125 sec bzw. 1/25 sec, LED-Ringlicht
 
 

Immer mehr Fragen


Verfolgt man die Veränderungen am Nest über einen Zeitraum von mehreren Wochen, dann erkennt man die Phasen der Entwicklung der Brut.
Ablesbar an der Anzahl der sich in den Waben entwickelnden Larven waren Höhepunkte und schwächere Phasen zu erkennen. Forscherdrang erwacht so wieder. Die Digitalkamera hilft ja beim Protokollieren der Beobachtungen am Nest, dadurch, dass der genaue Zeitpunkt, auch die Uhrzeit, festgehalten wird. Ich wünschte, ich hätte die Randbedingungen jeweils genau protokolliert: Welche Rolle spielte die Temperatur in den jeweiligen Zeitabschnitten? Hatte sich das Nahrungsangebot verändert, vielleicht dadurch, dass bestimmte Früchte reif geworden waren? Denn im Verlauf des Sommers konnte ich die Tiere im Garten gelegentlich unmittelbar vor dem Schuppen an einzelnen überreif gewordenen Stachelbeeren beobachten. Sie saugen etwas Saft aus den Früchten. An heißen Tagen zeigte sich ein Verhalten, das auch in der Fachliteratur beschrieben wird: Einige Wespen sitzen auf dem Nest und schwirren mit den Flügeln, um durch den Luftstrom zur Kühlung beizutragen. Oberhalb von welchem Temperatur-Schwellenwert beginnen die Feldwespen mit diesem Verhalten?



Wespe beim Übergeben eines Tropfens an eine andere Wespe. - Olympus E-M1X, Zuiko 300mm 1:4 Pro mit Konverter MC-20, ISO 640, f4 (f8), 1/160 sec


Naturfotografie und Entdeckerfreude


Zum Bau und Ausbau des Nestes verwendeten die Wespen offenbar Teile eines Anstrichs, der in das harzhaltige Holz der Schuppenwände nicht recht eingezogen war. Auf dem obersten Brett ließ sich manchmal eine Reihe von arbeitenden Feldwespen beobachten, die winzige Teile dieser losen Schicht aufnahmen.

Zahlreiche Wespen saßen an manchen Tagen nebeneinander und nahmen Substanzen von der Holzoberfläche auf. Kleiner Ausschnitt aus einem Bild. 6. August 2021, 9:57 Uhr. - Olympus E-M1MarkIII, Zuiko 40-150mm 1:2,8 Pro, Konverter MC-14, ISO 800, f7,1 (effektiv f10), - 1/3 EV, 1/640 sec



Die Beobachtung der Tiere weckte immer mehr Fragen und den Wunsch, mehr über diese Spezies zu erfahren. Es ist eine Erfahrung, die man immer wieder macht: Die Naturfotografie führt zur genaueren Beobachtung, es entwickelt sich der Drang, mehr zu erfahren, das Verständnis für die Rolle der Lebewesen im ökologischen System wächst, der Wunsch, zum Schutz beizutragen, wird stärker. Das Bedürfnis, noch mehr fotografisch festzuhalten, wächst. Eine Spiralbewegung kommt in Gang.


Beide Nester wechselten immer wieder in kürzeren Zeitabständen ihr Aussehen. Zeitweise bestimmten die hellen halbkugelförmigen Deckel der Waben das Aussehen, zeitweise fehlten diese hellen Elemente weitgehend.


Das größere der beiden Nester, oben: am 6. August 2021 abends, 20:56 Uhr. - Bildergebnis aus 34 Einzelaufnahmen innerhalb von 11sec. ISO 400, f4, Belichtungskorrektur -1/3 EV, jeweils 1/125 sec.
Unteres Bild: am 6. August 2021 abends. - Bildergebnis aus 33 Einzelaufnahmen innerhalb von 15 sec. ISO 64, f4, Belichtungskorrektur -1/3 EV, jeweils 1/6 sec. Beide Bilder: Nikon Z 7 II, Sigma 150mm 1:2,8 Apo Makro mittels Fringer-Adapter EF-NZ, LED-Ringlicht.


Hoffnung auf Wiederkehr


Zum Herbst hin nahm erwartungsgemäß die Aktivität der Tiere ab. Die Anzahl der Wespen, die sich auf dem Nest befanden, verringerte sich. Manchmal waren nur eine oder zwei Wespen zu sehen.

Mit dem ersten Frost war das Ende der Saison für die Tiere und damit auch für die Beobachtungen gekommen. Die Nestwaben blieben an ihrem Platz, und darum ist die Hoffnung berechtigt, dass im nächsten Frühjahr und Sommer die Tiere wieder an diesen Platz kommen und die Waben nutzen werden.


Mitte Oktober lassen sich nur noch wenige Wespen sehen. Diese ist morgens, am 11. Oktober, 07:31 Uhr, auf dem dritten Nest aufgenommen, das sich nicht im Ganzen fotografieren ließ. - Bildergebnis aus 37 Einzelaufnahmen innerhalb von 12 sec. Nikon Z 7 II, Sigma 150mm 1:2,8 Apo Makro mittels Fringer-Adapter EF-NZ, ISO 400, f4,5, Belichtungskorrektur -0,3 EV, jeweils 1/250 sec.

"Beobachtung von Feldwespen" ist in einer modifizerten Fassung im Heft 5/2022 des Magazins NaturFoto (Tecklenborg Verlag) erschienen.

Share by: